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Von Moskau nach Rostow/Don auf einer größeren Karte anzeigen

Di 7. Juni 2011: Moskau, Melichovo (87 km)

Nach 2009 ist dies mein zweiter Besuch in Moskau. Diesmal bin ich im Radtour-Modus, deswegen fahre ich im Prinzip nur einmal um den Block vom Bolschoi-Theater herum. Die Stimmung in dieser Gegend ist an diesem herrlichen Sommertag sehr gelassen. In der Unterführung kann man sich mit Lenin oder Stalin fotografieren lassen, daneben spielt ein Streichquartett Vivaldis "Vier Jahreszeiten".
Herrlicher Sommertag in Moskau
Kurzer Plausch mit Lenin
Gegenüber dem Tschechow-Denkmal im Café am Tschechow-Kunsttheater serviert mir ein wie zum Leben erweckter Tschechow herrliche süße kleine Tomaten von der Krim zu Blini mit Kaviar.
Auf Tschechow werde ich noch öfter treffen
Blini mit Kaviar
Dann noch ein allerletztes Mal über den Roten Platz geschlendert, und um 17h geht es ab nach Süden.
Immer noch: völlige Glückseligkeit
Roter Platz: Kreml, Kaufhaus GUM, Basilius Kathedrale
Blick zurück auf den Kreml
Eine von Stalins gigantischen "7 Schwestern"

Die Straßen sind zum Stadtrand hin zumehmend verstopfter, aber irgendwann geht es auf die Autobahn, wo ich endlich wieder einen breiten Standstreifen für mich habe. Ob es eigentlich erlaubt ist, hier zu radeln? Der erste Polizist auf der Autobahn ignoriert mich. Der zweite winkt mich heraus und überprüft nur meine Registrierung - diese habe ich gestern automatisch im Hotel bekommen. Alles in Ordnung, ich darf weiterfahren. Nach 79 km kommt die Abzweigung nach Melichowo, zum Tschechow-Landgut. Nur eine Handvoll Kilometer neben der Autobahn befinde ich mich plötzlich in einem zauberhaften Birkenwald, wo ich kurz vor Mitternacht mein Biwak aufschlage. Übrigens funktioniert hier zum letzten Mal vor Rostow am Don der mobile Internet-Zugang.

Mi 8. Juni 2011: Melichowo, Tschechow Museum, Tula (139 km)

Traumbiwak unter Birken
Birkenwald bei Melichowo
Melichowo ist ein kleines, ruhiges Dorf, eingebettet in malerische Birkenwälder. Das Tschechow Landgut-Museum besteht aus mehreren liebevoll eingerichteten Häuschen, zu denen auch eine Arztpraxis gehört. Seinen Arztberuf übte der Dichter jedoch hauptsächlich ehrenamtlich aus. "Die Medizin ist meine gesetzliche Ehefrau, die Literatur meine Geliebte", so Tschechow. Das knapp 90 km von Moskau und 8 km von der Autobahn entfernte Museum lohnt auf alle Fälle einen Besuch. Wie man aber als Moskau-Tourist ohne Fahrrad hierher kommt, kann ich nicht sagen.
Tschechow Landgut mit Freilichtbühne
Hier schrieb er "Die Möwe"
Tschechows Arztpraxix
Der "umgefallene Mann" in Tschechows Garten
Nun geht es weiter mit Rückenwind auf einer zunächst von Birken gesäumten Autobahn Richtung Tula. Erneut werde ich herausgewunken. Das Fahrrad geht hier nicht, meint der Polizist und will meine Registrierung sehen. "Tuda" (Woher)? Ich: "Aus St. Petersburg, bin auf dem Weg nach Jasnaja Poljana". Sein Blick ist immer noch streng, "Akkuratna" (OK)! Juhu, ich darf weiterradeln. Habe ich gar einen Ausländer-Bonus? Dann wird die Straße, recht überraschend für mich, gegen Tula hin steil und hügelig. Mit viel Schwung kommt man beim Gegenanstieg etwa schon auf die halbe Höhe.
Birkengesäumte Autobahn
Richtung Tula wird es hügelig
Nach 93 km ab Melichowo kommt die Abzweigung nach Tula. Die Stadt ist mit über 850 Jahren eine der älteren russischen Städte. Der riesige Rathausplatz mit riesiger Leninstatue versprüht noch echten Sowiet-Charme, daneben gibt es einen Kreml mit unzähligen Kirchen und einem Foltermuseum, die Kremlmauern sind aber für heute schon geschlossen. Auch außerhalb des Kremls steht fast eine Kirche neben der anderen.
Rathaus mit Lenin in Tula
Auch Tula hat einen Kreml
In einer Keller-Musikkneipe bekomme ich ein top Abendessen mit Schtschi (Kohlsuppe), Blini, Kaviar, das Fahrrad wird derweil auf Anweisung des Kellners auf der Bühne geparkt. Anschließend treffe ich wieder auf einen riesigen Platz zum Andenken an den Großen Vaterländischen Krieg.
Bühne frei für mein Rad
Kriegsdenkmal in Tula
Beim Biwak in einem Wäldchen hinter Tula fällt mir auf, dass es heute zum erstenmal nachts komplett dunkel ist. Außerdem muss ich nicht mehr frieren, es ist viel trockener geworden. Petersburgs Weiße Nächte und Sümpfe sind passé.

Do 9. Juni 2011: Jasnaja Poljana, Tolstoi Museum (101 km)

Heute ist Tolstoi-Tag! Ein paarmal biege zu früh ab und lande bei irgendwelchen halbverfallenen anderen Anwesen. Doch dann stehe ich vor einem großen Tor, hinter dem die berühmte Birkenallee zu Tolstois Wohnhaus führt. Auf Youtube kann man uralte Filmausschnitte sehen, in denen der Dichter mit seiner Ehefrau Sofia hier herumspaziert. Krieg und Frieden sowie Anna Karenina wurden in Jasnaja Poljana verfasst. Das Anwesen ist landschaftlich wirklich schön gelegen. Zum Grab des Dichters führt ein kurzer Spaziergang, dann heißt es auf einem Schild auf Russisch "Ruhe bitte", und man steht vor einer kleinen runden Wiese, auf deren Mitte sich ein unscheinbarer, grasiger, ausgefranster Grabhügel erhebt. Ich bin sehr berührt von der schlichten Schönheit dieser letzten Ruhestätte des großen Dichters.
Birkenallee zu Tolstois Wohnhaus in Jasnaja Poljana
Tolstois Wohnhaus
Tolstois Grab in Jasnaja Poljana
... ganz unscheinbar
Auf dem Museumsgelände gibt es noch Wirtschaftsgebäude, in denen wie zu Alten Zeiten Handwerk betrieben wird. Pferdekutschen fahren herum. Mit einem freundlichen Parkwächter komme ich ins Gespräch, er findet Deutschland so toll, und wir hätten so viel Geld. Ich sage, er hätte dafür einen wunderschönen Arbeitsplatz ... darauf er: aber kein Geld. Als ich im Toilettenhäuschen meinen Kopf unter den kalten Wasserhahn halte, kommt die Reinigungsfrau, holt ihren Wasserkocher und hilft mir mit erhitztem Wasser ungefragt beim Haarewaschen. Auch bringt sie mir verschwitztem Radler ihr eigenes, frisch gewaschenes Handtuch zum Abtrocknen. Als ich später nochmal komme, hat sie in der Zwischenzeit einen ganzen Eimer Wasser erhitzt und schlägt vor, dass ich mir damit auf der Wiese die Füße waschen kann. So eine liebe Person - woher kennt sie nur die geheimen Wünsche eines Radtouristen?
Handwerk in Jasnaja Poljana
Warmes Wasser für die Katzenwäsche
Ab 14 h geht es weiter. Zunächst ist die E105 vierspurig mit zwei Fahrstreifen, zwei Standstreifen. In der Kleinstadt Plawsk gibt es einen auffallend schönen, tiefblauen Kirchturm. Im Postamt danaben kann ich mit superschnellem Internet kurz meine E-Mails ansehen, mobiles Internet habe ich ja seit zwei Tagen nicht mehr.
Kirchturm in Plawsk
Jugend in Plawsk: Haarfarbe passend zum Kirchturm
Nach Plawsk wird der Standstreifen leider zum SANDstreifen, so wird es nun recht eng auf der Fahrbahn. Auch wird es nochmal steiler bzw. optisch "überhängend", man sieht nur ein paar zig Meter vor sich, im Hintergrund den Gegenanstieg. Einmal packt ein LKW vor mir den Anstieg gar nicht und bleibt mitten am Hang hängen. So ist es verständlich, dass zumindest bergauf überholende LKW keine Rücksicht nehmen können, also mich auch bei Gegenverkehr überholen.

Später am Abend fängt es an zu regnen, zunehmend stärker. Leider gibt es hier gar nichts zum Unterstellen. Die einzigen "Gebäude" sind vereinzelt auftretende Tankstellen, an denen meist nur ein Typ in einem kleinen Kassenhäuschen oder auf einem Plastiksessel unter einem Vordach sitzt. Hier kann man ja nicht übernachten. Auf bisherigen Touren habe ich es immer so gehandhabt, da ich ja nie ein Zelt dabei habe, dass ich mir bei Regen irgendeinen Unterstand gesucht habe (Bushaltestelle, Sportplatz, Friedhof ...). Meine Plastikplane ist nur ein Notfallschutz, falls es unerwartet in der Nacht zu regnen anfängt, richtig schlafen kann man darunter nicht. Alternativ würde ich mir bei starkem Regen eine Unterkunft suchen. Aber hier gibt es rein gar nichts! Also fahre ich weiter. Endlich kommt doch eine verlassene Tankstellen-Ruine, wo ich neben den herausgerissenen Zapfsäulen ein kleines, ölverschmutztes Plätzchen finde.

Fr 10. Juni 2011: Spasskoje-Lutowinowo, Turgenew Muesum, Orjol (153 km)

Vorgestern war Tschechow, gestern Tolstoi, heute ist Turgenew-Tag! Ich verlasse so schnell wie möglich diesen stinkenden Tankstellen-Biwakplatz, die Sachen sind durch diverse Benzin-Rinnsale von unten her etwas ölig-feucht und schmutzig geworden. Auf zu Turgenew, dem Dichter der Schönheit!
Unschöner Biwakplatz
Region Orjol
Über einige sehr steile Anstiege geht es bei tropisch-feuchter Luft zum gut ausgeschilderten Abstecher nach Spasskoje-Lutowinowo. Hier liegt, eingebettet in einen märchenhaften Park, das pastellfarbene Herrenhaus, das eine Dauerausstellung über Iwan Turgenew enthält. Ich bekomme eine Privat-Führung auf Englisch. Tiefe, dunkelgrüne Samtsofas, massive Eichenschränke und Vitrinen, aber auch kleine, filigrane Gegenstände wie eine Art Mini-Schweizermesser gibt es zu besichtigen - alles sehr ästhetisch. Neben dem Eingang zum Landgut gibt es einen weiteren großen Ausstellungsraum mit Turgenew'schen Ausstellungsstücken. Von der Führung auf Russisch verstehe ich vor allem, dass der Dichter nicht nur materiell, sondern auch in seinen Beziehungen und Konversationen stets das Schöne suchte.
Straße nach Spasskoje-Lutowinowo
Einfach schön: Turgenew Landgut
Richtung Orjol geht es vorbei an einem Panzerdenkmal, an dem ich mit drei netten Männern ins Gespräch komme, die hierher einen Ausflug gemacht haben uns sich freuen, ausgerechnet hier auf eine Deutsche zu treffen. Im nächsten Ort sind noch die Spuren vom gestrigen Regen vorhanden, das Wasser läuft nicht ab, ich bekomme beim Durchfahren eine ordentliche Dusche - etwas, das sich die kommenden Wochen noch zig mal wiederholen wird. Wovon ich zum Glück noch nichts weiß. Etwa 20, 30 km nach Orjol tut sich nach einer Kurve ein riesiges Schwarzerde-Feld auf, ich bin mitten in die Steppe geworfen worden! Ein überwältigendes Gefühl. Seit Orjol ist die M2/E105 auch breiter und hat wieder einen geteerten (juhu!) Standstreifen. Erst um 21 h habe ich 100 km beisammen, ich sollte noch ein paar km "schlucken". Punkt Mitternacht sind es 150 km, und um halb eins finde ich einen lauschigen Biwakplatz.
Nette Bekanntschaft am Kriegsdenkmal
Kriegsdenkmäler überall

Sa 11. Juni 2011: Kursk (181 km)

Heute geht es nach Kursk, wo im Sommer 1943 die größte Panzerschlacht der Geschichte stattfand, das letzte Aufbäumen der schon vorher geschlagenen Wehrmacht.
Anfahrt auf Kursk: mal hügelig ...
... mal eben
Im kleinen Ort Fatesch gibt es überraschend ein Hotel/Restaurant, wo es sogar warmes Wasser zum Frischmachen gibt. Beim Essen blättere ich in einem Bildband mit Luftaufnahmen aus der Kursker Gegend, was für riesige Dimensionen!
Kirche in Fatesch: Boden mit Heu ausgestreut
Kursker Gegend von oben: riesige Felder
Kurz vor 18 h, nach genau 100 km, treffe ich in der Heldenstadt Kursk ein. Die gigantische Kriegsdenkmal-Anlage beginnt mit einem Triumphbogen. Eine Hochzeitsgesellschaft macht hier Fotos, auf dem Hochzeitsauto stehen Käfige mit weißen Tauben. Hinter dem Tor befindet sich eine riesige "Panzer-Allee", ein Modell nach dem anderen ist hier aufgereiht. Gleichzeitig dienen die Panzer als Kinderspielplatz und Portraitfoto-Hintergrund.
Hochzeitsgesellschaft
... mit weißen Tauben am Kriegsdenkmal
"Panzer-Allee" in Kursk
... lauter verschiedene Modelle
Auch ein Kinderspielplatz
Panzer-Spielzeug in Echt-Größe
Ansonsten ist Kursk eine sehr lebendige, nette Stadt mit offensichtlich gutgelaunten Jugendlichen. Neben den vielen Kriegsdenkmälern gibt es auch ältere Prachtstraßen. Beim großen Puschkin-Denkmal, an der "Puschkin-Sommer-Terrasse", bekomme ich Paulaner Bier aus München! Sushi dazu, so lässt es sich leben. Was für ein krasser Gegensatz zu den Kriegserinnerungen ein paar Ecken weiter.
Jugendliche in Kursk
Münchener Weißbier in Kursk!
Puschkin in Kursk
Lenin in Kursk
Kursk
Знаменский собор (was heißt das?) in Kursk
Von Kursk biege ich nach Osten auf die E38/A144 Richtung Woronesch. Diese Straße ist ruhiger, manchmal kommt sogar für etwa 10 Minuten kein Auto, was eine kurze wohltuende Insel der Stille erzeugt. Den Soldatenfriedhof im etwa 18 km entfernten Besedino übersehe ich leider wegen der Dunkelheit. Dann beißt sich auch noch ein Hund an meinem Fuß fest, zum Glück zerfetzt er nur meine Socke.

So 12. Juni 2011: Woronesch (222 km)

Der Biwakplatz war sehr idyllisch, aber es hat irgendwelche kleinen schwarzen Dinger vom Baum über mir heruntergerieselt. Rüttelt man am Baum, kommt ein ganzer Schwall herunter. Keine Ahnung was das ist, bin für Hinweise dankbar.
Schönes Biwak
... aber was ist das bloß auf meiner Unterlage?
Die 233 km lange Verbindung von Kursk nach Woronesch ist zwar gut geteert, führt aber durch eine ziemlich gottverlassene Gegend. An den Tankstellen steht meist nur ein vergittertes Kassenhäuschen mit bestenfalls einem Getränkekühlschrank, aber nichts zu essen. Im Ort Tim finde ich zum Glück ein Café, wo es Soljanka-Suppe und Kartoffelpüree gibt, tiptop! Aber fließendes Wasser - Fehlanzeige. Ab Mittag wird es sehr heiß, etwas Wind kommt seitlich aus Norden, später von vorne. Endlich, im Ort Gorschetschnoe, gibt es überraschend an einer Tankstelle fließendes Wasser auf der abschließbaren Toilette! Wow, die beste Tanke seit Tagen. Erst um 15:45 habe ich 100 km erreicht. Es folgen drei sehr, sehr tiefe Abfahrten, schweißtreibend geht es auf die Gegenanstiege. Zwei Typen mit einem museumsreifen Gefährt überholen mich. Was die wohl den ganzen Tag hier treiben, so ab vom Schuss?
Zwischen Kursk und Woronesch: wenig los
Museumsreif
Kurz vor 20 h, nach etwa 150 km, das Ortsschild von Woronesch. Ziemlich lang kurve ich durch irgendwelche kleinen Sträßchen mit teils halbverfallenen Holzhäusern, bis ich 25 km später mehr oder weniger zufällig im Zentrum lande. Da grüßen mich auch schon Lenin und Puschkin. Im Park nebenan sind einige weibliche Flaneure ganz schön herausgeputzt. Unschwer finde ich ein gutes Restaurant, das ich nach der etwas dürftigen Versorgungslage seit Kursk auch nötig habe. Es gibt eine englische Menükarte. Das Essen ist ein Traum: Blini mit extra viel rotem Kavier, dazu Salat mit Shrimps und Avocado. Ich atme durch, der Tag war bisher schon anstrengend mit der Hitze, den paar krassen Anstiegen, dem Gegenwind. Ruck zuck sind zwei Stunden vorbei, es ist 23 h, und ich bin noch mitten in der Stadt. Ich sollte mich schleunigst auf den Weg machen, um einen ruhigen Biwakplatz außerhalb der Stadt zu suchen. Es geht wieder vorbei an Gedenkplätzen und Kriegsdenkmälern.
Endlich wieder eine Stadt: Woronesch!
Über den Don nach Woronesch
Lenin in Woronesch
Puschkin in Woronesch
Flaneure in Woronesch
Wie Gott in Russland
Nachts in Woronesch
Panzerspielplatz
Dann passiert für mich ein kleines Wunder, wie man es nur in Russland erlebt: An einer der Ausfallstraßen stehen an einem Kiosk ein paar Leute, alt und jung. Einer spielt Gitarre. Ich halte an, höre zu. Ich darf mir ein Lied wünschen. Woher ich komme? Ja nemka - ich bin Deutsche. Nemka, nemka, nemka, nemka wiederholt der Gitarrist. Er spielt Scorpions. Wohin ich fahre? Nach Sotschi. Eine Frau meint, dann müsse ich unbedingt weiter nach Abchasien! Beim Wort Abchasien ist das Eis endgültig gebrochen. Sie hat dort Verwandte und macht im Juli in Gagra Urlaub. Juhu, da bin ich auch, wir wollen uns treffen! In der Zwischenzeit hat jemand Bier für mich gekauft. Der Gitarrist will unbedingt für die Fotos sein Marine-Outfit holen, er war in der Barentssee nahe Murmansk und, wie er immer wieder betont, 43 km vor der norwegischen Grenze stationiert. Ich soll mich nicht vom Fleck bewegen. Seine Marine Mütze schenkt er mir anschließend!! Ich mache ein kleines Musikvideo, sage, das ist ein schönes Souvenir für mich. Als der Gitarren-Typ "Souvenir" hört, nimmt er seine Armbanduhr ab und will sie mir schenken - das ist unglaublich - NEIN!! Aber ich freue mich unbändig über die Marine-Mütze. Ein anderer Typ schenkt mir ein kleines Medaillon, auf dem eine Ikone aus einer Abtei abgebildet ist, damit mir nichts passiert. Noch ein Anderer hätte ein Auto und könnte mich "hinbringen", wohin auch immer. Ich lehne dankend ab. Der Medaillon-Typ fragt immer wieder besorgt, warum ich das mache. Mittlerweile ist es fast 2 h morgens, schweren Herzens verabschiede mich von diesen wunderbaren Leuten. Wieso sind solche Begegnungen, wo ich wohne, absolut undenkbar? Ich fahre bis kurz vor halb 4 h morgens. Die Dämmerung bricht schon an, als ich mich nach 222 Tageskilometern und 11,5 Stunden Fahrzeit glückselig hinter einer Birkenzeile ins Gras lege.

Und hier das Musikvideo incl. versuchter Tanzeinlage des Kollegen, bis er von seiner Frau gewatscht wird:

So 12. Juni 2011: Pawlowsk (222 km)

Heute ist ein reiner Fahrtag Richtung Süden, auf diesem Abschnitt gibt es rein gar nichts. Beim Aufwachen überlege ich kurz, ob ich einen Abstecher nach Wolgograd machen soll, das wären etwa drei Fahrtage mehr, denn ich bin gut in der Zeit. Aber der Wind kommt genau aus der Richtung, daher ist der Gedanke schnell verworfen. Die Tankstellen haben wieder kein Wasser und nur tehklos ohne Spülung. An den kleinen Häuschen an der Straße heißt es zwar "WC", das W steht aber hier nicht für Wasser. Nur die Lukoil Tankstelle nach hat einen kleinen schäbigen Wasserhahn. Als Frühstück gibt es 4 Milky Ways und 8 Mini Croissants, naja.